Beitrag vom: 10.11.2021 Kategorie: Bottom-NewsUnesco-Projekt-Schule

Jubiläumsveranstaltung zu „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ am Gustav-Stresemann-Gymnasium

Was haben ein elfjähriger Junge, ein älterer Mann mit Baseballkappe und ein siebzehnjähriges Mädchen gemeinsam – abgesehen davon, dass sie Menschen und deutsche Staatsbürger sind? Alle drei wurden aufgrund ihrer Religion, dem Judentum, bereits öffentlich diskriminiert oder leben in ständiger Angst davor. Es handelt sich hier um Antisemitismus, einem Phänomen, das nach einer Definition des unabhängigen Expertenkreises  Antisemitismus alle Einstellungen und Verhaltensweisen meint, die den als Juden wahrgenommenen Einzelpersonen, Gruppen oder Institutionen aufgrund dieser Zugehörigkeit negative Eigenschaften unterstellen.

Mit diesem Problem wurden am Donnerstag, dem 04.11.2021 Schüler*innen der Q1 und Q3 des Gustav-Stresemann-Gymnasiums konfrontiert. Die Gesellschaft für Sicherheitspolitik sowie die Friedrich-Naumann-Stiftung organisierten unter der Leiterin des gesellschaftswissenschaftlichen Fachbereichs am GSG, Anja Henke, die Veranstaltung „Jüdisches Leben in Deutschland – Gestern und Heute“ im Rahmen der Feierlichkeiten zum Jubiläum „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“. Dafür machten sich die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Kassel, Ilana Katz, sowie die Studentin und Präsidentin des Verbandes Jüdischer Studierender Hessen (VJSH), Tamara Ikhaev, auf den Weg nach Bad Wildungen. Die Veranstaltung wurde moderiert von Meinhard Schmidt-Degenhard.


Die Referenten freuten sich, über ihre Erfahrungen berichten zu können und erzählten von persönlichen Erlebnissen. Auch davon, dass Antisemitismus in den letzten zwei bis drei Jahren aggressiver geworden sei. Daher würden sich viele Juden aus Sorge vor Anfeindungen und Angriffen nicht trauen, religiösen Schmuck oder die Kippa in der Öffentlichkeit zu tragen. Mitmenschen würden zum Beispiel das Tragen der Kippa oft als Provokation auffassen. Auch in Schulen, die eigentlich einen geschützten Raum darstellen sollen, werden jüdische Kinder und Jugendliche teilweise mit antisemischen Vorfällen konfrontiert. Beispielsweise bekam eine siebzehnjährige Schülerin in der Pause einen Zettel auf den Tisch gelegt mit der Aufschrift: „Magst du Zyklon B? Willst du es einatmen?“

Aus Sorge vor noch mehr unerwünschter Aufmerksamkeit und dem Gefühl, anders zu sein und anders wahrgenommen zu werden, würden die meisten Menschen – Kinder wie Erwachsene – solche Anfeindungen ignorieren oder übergehen. Besonders in der Schule sei es problematisch, dass  das Thema Juden in Deutschland nur im Religions- oder Geschichtsunterricht, entweder in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg, den Holocaust oder die Anfangszeit des jüdischen Glaubens, angesprochen werde. Daraus etabliere sich oftmals der Gedanke bei  Schülerinnen und Schülern, dass es heutzutage gar kein jüdisches Leben mehr gebe. Durch eine solche gleichsam exotische Wahrnehmung des Judentums könne die Gefahr bestehen, dass sich auch Angst vor dem Fremden entwickelt, wie den Schüler*innen berichtet wurde.

Die Grenze zwischen Scherz und beginnenden antisemitistischen Bemerkungen würde sehr schnell verschwimmen. Ebenso werde oft nicht zwischen der Kritik an der israelischen Politik und dem Judentum differenziert. Oft würden die Geschehnisse im Nahen Osten pauschal mit Juden in Verbindung gebracht, wodurch Jüdinnen und Juden sich in einem ständigen Rechtfertigungszwang sähen.

Am Ende wurde die Frage gestellt, was die beiden Gäste sich für ihre Zukunft wünschen würden. Sie waren sich einig, dass sie in Deutschland bleiben möchten und sich dort sicher fühlen wollen, sodass ihre Kinder und Kindeskinder dort ebenfalls in Frieden leben können. Ein Wunsch, der sicher allen Menschen in Deutschland gemeinsam ist! Damit dieser Wunsch wahr werden kann, sind alle gesellschaftlichen und politischen Akteure gleichermaßen gefordert. Es gilt im Rahmen der Werteordnung des Grundgesetzes Vielfalt nicht nur zuzulassen, sondern auch anzuerkennen. Es geht um Integration, nicht um Anpassung. Das ist eine ständige Aufgabe – nicht nur, aber eben auch – mit dem Fokus auf den Antisemitismus. Darin waren sich alle einig. Solange Synagogen, aber mitunter auch Moscheen oder Kirchen, polizeilichen Schutz benötigen, sind wir vom Ziel eines vorurteilsfreien und friedlichen Umgangs wohl noch ein Stück entfernt.

 

Einen Beitrag dazu kann die differenzierte Auseinandersetzung mit diesem Thema leisten. Unsere Generation wird die letzte Generation sein, die mit Zeitzeugen sprechen konnte, was eine große Verantwortung darstellt.

Abschließend lässt sich bilanzieren, dass es sich um eine gelungene und lehrreiche Veranstaltung handelte. Die Schüler*innen haben vieles mitnehmen können und wurden für das Thema Antisemitismus in Deutschland sensibilisiert.

 

Text: Maylin Ulrich

Fotos: Dr. Johannes Salzig

 

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Das Gustav-Stresemann-Gymnasium thematisiert das Jubiläum „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ als anerkannte UNESCO-Projektschule und als Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage im Rahmen verschiedener Veranstaltungen und Projekte. Dazu zählen z. B. eine Podiumsdiskussion mit einem Zeitzeugen, die Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen, Unterrichts- und AG-Vorhaben auf Grundlage einer UNESCO-Bilderbox zum jüdischen Leben in Deutschland uvm.

 

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