Schreibende Suche nach Sinn – Wiona Reisse, Amelie Cronau und Carmen Cavallaro als Gewinnerinnen des Lyrikwettbewerbs „Expressionismus“
Die Fachschaft Deutsch des Gustav-Stresemann-Gymnasiums zeichnet alljährlich in einem Lyrikwettbewerb der Q-Phase das beste selbstverfasste Gedicht aus. Bewertungskriterien sind neben der Einhaltung der lyrischen Gattungsmerkmale die Wirkung des Textes und die Über-nahme der epochenspezifischen Kennzeichen.
In diesem Schuljahr stand die Epoche des Expressionismus im Vordergrund und die Wett-bewerbskurse des Abiturjahrgangs hatten die Aufgabe, das Lebensgefühl der Angst, Verun-sicherung und individuellen Ohnmacht in visionäre Bilder, weit hergeholte Metaphern und subjektive, eindringliche Sprache zu gießen.
Den drei Preisträgerinnen ist es dabei auf beeindruckende Weise gelungen, orientierungslos „schwankende Menschen“ in ihrer Einsamkeit zu skizzieren und eine Welt zu hinterfragen, in der „Werte ihren Wert verloren zu haben scheinen“.
Geehrt für die besten Texte des expressionistischen Lyrikwettbewerbs wurden im Rahmen der diesjährigen Verabschiedung der Abiturient*innen:
– für den 1. Platz: Wiona Reisse mit ihrem Text „Neuschnee“
– für den 2. Platz: Amelie Cronau mit ihrem Text ohne Titel
– für den 3. Platz: Carmen Cavallaro mit ihrem Text „Gott (los)“
Zur Erweiterung ihrer literarischen Fähigkeiten und Förderung des Interesses für deutsche Sprache und Literatur bestand der vom Gustav-Stresemann-Gymnasium gestiftete Preis aus jeweils einem Büchergutschein in Höhe von 20,00 EUR für die Plätze 2 und 3 sowie einem Büchergutschein in Höhe von 40,00 EUR für den 1. Platz.
Text: Christoph Heise, Fotos: privat (Cronau, Cavallaro)
Wiona Reisse: Neuschnee
Ein Mann hat seine Uhr verloren,
tief im Schnee liegt sie dort.
Die Kälte hat sie eingefroren.
die Zeit scheint leblos.
Eis lässt ein Kind bluten,
nun liegt es am Boden.
Traurig ist es nicht,
wenn die Seele bricht.
Ein alter Mann geht wandern,
denn er sucht das Tor.
Der Versuch zu entfliehen
gelingt ihm nicht vollkommen.
Antworten sind Lügen,
das hat seine Frau bemerkt.
Was ist die Wahrheit,
nicht mehr als leer.
Ein Funke entfacht ein Licht,
selbst das Feuer ist nicht warm.
Menschen schweigen sich an,
das Wort Bedeutung zerbricht.
Die Welt ist tot,
Geister möchten nicht zurück.
Hoffnung ist dahin und
Werte haben ihren Wert verloren.
Amelie Cronau: ohne Titel
Tausend leere Gesichter
zieren die vollen Straßen durch
nichts gestört. Geschrei windet sich
durch jedes Ohr, doch bleibt ungehört.
Langsam um die hohen Blöcke ziehend
laufe ich, vergangen.
Nichts hält mich oder lässt mich fliehen.
Keinerlei Verlangen.
Wie immer komm ich allein nach Haus
kalte Stufen immer nieder
irgendwann, weiß ich, es stört mich nicht
komme ich nicht mehr wieder.
Carmen Cavallaro: Gott(los)
Hinauf zum Himmel schaue ich,
dort oben soll er sitzen
und seine Hoffnung auf uns hinunterspitzen.
– Doch, sie irren sich!
„Gott ist tot“ hallt es in meinen Gedanken.
Die Menschen, sie schwanken.
Es hat ihn nie gegeben,
sonst würden wir nicht all dieses Elend erleben.
Hunger, Tod und Kriege,
Einsamkeit und Verlust,
ist damit jemals Schluss?
Als ob er das alles wieder richtig biege,
wir leben im Verderben
und ob Gott oder nicht: alle sterben.
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